Mit einem sozialen Kompass durch die Energiekrise

Die Energiekrise und ihre Folgen dominieren aktuell unser Leben und damit natürlich auch die Politik. Wir wollen auch auf städtischer Ebene alles dafür tun, gut und vor allem bezahlbar durch die nächsten Monate zu kommen. Mit den fallenden Temperaturen kündigen sich Herbst und Winter an, weshalb schnell gehandelt werden muss, um bestmöglich vorbereitet zu sein. Aus diesem Grund wurde eine Fraktionssitzung zum Thema „Energiekrise Spezial“ abgehalten. Mit Expert*innen aus Stadt, Stadtwerke sowie Beteiligungs- und Vermögensgesellschaft haben wir intensiv über die Sachlage und mögliche Lösungen diskutiert.

Festzuhalten ist: Die Energiekrise ist in erster Linie eine soziale Krise. Daher brauchen wir als SPD-Ratsfraktion und als Stadtgesellschaft einen sozialen Kompass, um die Situation zu meistern. Steigende Energiepreise betreffen vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, Kinder, Rentner*innen, Studierende, Alleinerziehende und Wohnungslose. Unsere Politik muss daher allen Menschen zugutekommen, aber die am stärksten betroffenen in den Fokus nehmen. Für uns steht daher fest, dass Schulen und Kitas geöffnet bleiben müssen. Die Einschränkungen beim Unterricht durch die Corona-Pandemie waren so gravierend, dass ein weiterer Unterrichtsausfall aufgrund steigender Energiekosten für uns keine Einspar-Option ist. Ebenfalls aufrechterhalten wollen wir das Schulschwimmen und Kinderschwimmen, damit Kinder weiterhin schwimmen lernen. Die Wassertemperaturen in den Hallenbädern wurden hier bereits im Sommer gesenkt, um Energie zu sparen.

Die Maßnahmenpakete, um als Stadt Energie einzusparen, sind vielschichtig. So wurden bereits die nicht notwendige Beleuchtung städtischer Gebäude – wie zum Beispiel der Sparrenburg, des Rathauses oder der Volkshochschule – abgeschaltet. Auch Ampelanlagen, die nachts nicht notwendig sind, wurden abgeschaltet. Ebenfalls abgeschaltet wurden Brunnen und Fontänen, sofern sie keine Grundlage für Pflanzen und Tiere bilden. Weitere Einsparpotentiale gibt es bei den städtischen Gebäuden. So werden die Büroräume der Mitarbeiter*innen nur noch auf maximal 19 Grad geheizt, Gemeinschaftsräume gar nicht mehr. Mitarbeiter*innen der Stadt soll zudem eine stärkere Homeofficenutzung ermöglicht werden. Darüber hinaus werden die Sporthallen auf maximal 17 Grad beheizt.

Neben den Einsparungen braucht es auch ein umfassendes Angebot an Beratungen für Bürger*innen. So werden 670.000€ in die verschiedensten Beratungsangebote gesteckt. Sie umfassen zum Beispiel eine Energie-Hotline, die durch den Dschungel der Angebote führen soll und Hilfe beim Thema Energieeinsparungen im privaten Haushalt oder Unternehmen liefern soll. Präventiv gestärkt werden aber auch die Verbraucherberatungen zu den Themen Insolvenz, Schulden, Energierecht und Existenzsicherung. Niemand darf in dieser Zeit alleine gelassen werden. Daher werden die Angebote auch aufsuchend in den Quartieren durchgeführt sowie auf Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet.

Es gilt auch, die richtigen Schlüsse aus der Situation zu ziehen. Die Abhängigkeit vom russischen Gas und die Auswirkungen auf die globalen Energiepreise müssen verstärkt den Anlass geben, Unabhängigkeit zu fördern und erneuerbare Energien konsequent auszubauen. So sind in Bielefeld aktuell nur 4% der Dächer mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet. Wir wollen den Ausbau dieser Anlagen, aber auch Solarthermie, durch Anreize fördern. Photovoltaik-Anlagen sollen auch vermehrt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen aufgestellt werden. Die aufgeständerten Photovoltaik-Anlagen nennen sich Agri-PV.

Erneuerbare Energien sind ein wichtiger Schritt zur Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und wirken zudem gegen den Klimawandel. Ausgeweitet sollen auch Fernwärme- und Kaltwärmenetze. Städtische Gebäude sollen schnellstmöglich an das lokale Netz angebunden werden. Auch wenn Fernwärme nicht zu 100% ohne fossile Brennstoffe betrieben werden kann, ist sie eine kostengünstige und nachhaltigere Alternative.

 

 

 

RatsfraktionSven Frischemeier
Neue Digitalstrategie setzt Standards für Bielefelder Schulen

Spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ist uns allen deutlich geworden, wie sehr wir in vielen Lebensbereichen bei der Digitalisierung hinterher hängen. Dies gilt insbesondere auch für unsere Schulen, wo uns Distanzunterricht und Homeschooling aufgezeigt haben, welche Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung der Schulen vor uns liegen. Umso mehr freut es uns, dass wir in den letzten zweieinhalb Jahren deutlich mehr Tempo in das Thema bringen konnten und ein gutes Stück vorangekommen sind.

Unter anderem konnten wir ca. 15.000 digitale Endgeräte (Tablets) für die Schüler*innen anschaffen und alle Schulen – endlich – mit einem vernünftigen Breitbandanschluss versorgen. Nun haben wir nach drei Jahren Erarbeitungsphase endlich auch eine ganzheitliche Digitalstrategie für die Schulen im Rat beschlossen. Wir setzen damit erstmals zeitgemäße Standards für den digitalen Ausbau unserer Schulen, die nun in den nächsten Jahren Stück für Stück weiter umgesetzt werden. Für die Umsetzung nehmen wir insgesamt über 60 Millionen Euro in die Hand. Drei Punkte wollen wir hier kurz benennen:

Technische Infrastruktur:

Die Digitalstrategie setzt Standards für das schulische Netzwerk, den Breitbandanschluss, die Inhouseverkabelung sowie Server-, WLAN- und IT-Sicherheitsstandard. Die WLAN-Ausleuchtung in Schule soll so erweitert werden, dass neben allen Klassenräumen auch das gesamte Schulgelände (inkl. Aula, Mensa und Pausenhof) ausgeleuchtet ist.

Ausstattung aller Schüler*innen mit Tablets:

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jede*n Schüler*in mit einem Tablet auszustatten. Als Stadt garantieren wir eine Ausstattung von 1:2 (1 Gerät für zwei Schüler*innen), über Fördermittel des Bundes und des Landes werden wir – sofern insbesondere die schwarz-grüne Landesregierung ihr Versprechen einhält – eine 1:1-Ausstattung hinbekommen. Jedes Gerät erhält dabei einen Standard-Satz an Software, jede Schule erhält zudem nochmals ein „App-Budget“ für schulspezifische Software. Insgesamt investieren wir für die Ausstattung mit Tablets viele Millionen Euro.

Einrichtung eines Medienlabors:

Ein neu eingerichtetes städtisches Medienlabor siedelt zentrale Aufgaben der Wissensvermittlung für Lehrkräfte und Kollegien im Umgang mit digitalen Medien im Unterricht an. Es soll Begegnung und Networking der Lehrkräfte fördern, mögliche Vorbehalte im Hinblick auf Digitalisierung abbauen helfen und die Freude am Ausprobieren unterstützen. Das Medienlabor besteht dabei aus drei unterschiedlichen Bereichen mit folgenden Aufgaben:

Das Medienlab: Bestehend aus einem Showroom, in dem Lehrkräfte neue Technologien erproben können und vor-Ort-Beratung in Anspruch nehmen können.

Das Mediencafé: Übernimmt die Koordination und Durchführung von Fortbildungen für die schulische Medienbildung in Bielefeld in Kooperation mit Kompetenzteam und Medienberatung NRW.

Die Medienwerkstatt: Übernimmt -wie bisher- die Aufgaben des Medien- und Hardwareverleihs sowie der Gerätereparaturen und den Transport.

Neben der Digitalstrategie haben wir zugleich auch einen Medienentwicklungsplan beschlossen, der die konkrete Umsetzung der Standards aus der Digitalstrategie bis 2027 regelt. Wir werden die Digitalisierung damit weiter vorantreiben und unsere Schulen endlich fit für die Zukunft machen.

 

 

RatsfraktionSven Frischemeier
LANDTAGSWAHL AM 15. MAI 2022
Für Bielefeld im LAndtag: Christina Kampmann und Thorsten Klute

Bei der letzten Landtagswahl im Mai 2022 konnten zwei unserer Bielefelder KandidatInnen ein Landtagsmandat für sich entscheiden. Christina Kampmann im Wahlkreis 92 und Thorsten Klute im Wahlkreis 94 vertreten Bielefeld seitdem im Landtag in Düsseldorf. 

Die beiden ausgeschiedenen Abgeordneten Regina Kopp-Herr und Georg Fortmeier wurden im Rahmen unseres Sommerempfangs feierlich verabschiedet. Unterbezirksvorsitzende Wiebke Esdar dankte ihnen für den langjährigen, intensiven Einsatz für unsere Stadt.  

Christina Kampmann und Thorsten Klute sind bei politischen Fragen oder Anliegen auch über ihre Wahlkreis-Büros ansprechbar. Erfahren Sie alles Wichtige über Ihre Abgeordnete, bzw. Ihren Abgeordneten in Ihrem Wahlkreis, die politische Arbeit und Kontaktmöglichkeiten auf den jeweiligen Webseiten.

Christina Kampmann (Wahlkreis 92: Bielefeld-Mitte, Schildesche und Gadderbaum)
www.christina-kampmann.de

Thosten Klute (Wahlkreis 94: Dornberg, Jöllenbeck)
www.thorsten-klute.de

Ann Katrin Brambrink
Jahnplatzumbau: Wir ziehen eine erste Bilanz

Nach zwei Jahren Bauzeit wird der Jahnplatz Ende August fristgerecht fertiggestellt und eröffnet. Noch bevor die alten Masten entfernt oder die letzten Steine gepflastert wurden, wird in der Öffentlichkeit ein sehr negatives, aber auch undifferenziertes Bild gezeichnet. Grund genug, sich nochmal in Erinnerung zu rufen, warum der Jahnplatz saniert wurde und welche Vorteile er nun mit sich bringt.

Aufgrund zu hoher Stickoxid-Werte drohte die Verhängung eines Fahrverbotes für den Jahnplatz. Neben den PKW, wären hiervon auch die bis zu 1000 Busse, die täglich den Platz queren, aber auch Anlieferverkehr, betroffen gewesen. Nicht nur das drohende Fahrverbot, auch die allgemeinen Klimaentwicklungen haben zu einem Umdenken geführt. Als eine der ersten Maßnahmen wurde ein erfolgreicher Verkehrstest durchgeführt, der die Reduzierung der Fahrstreifen von zwei auf eine Spur vorsah.

Für die Fahrstreifen wurde nun ein ganz neuer Asphalt genutzt. Der sogenannte „Clean-Air-Asphalt“ bindet unter UV-Einstrahlung schädliche Stickoxide aus der Luft und wandelt sie in unschädliche Nitrate um, die anschließend durch den Regen ausgewaschen werden. Auf insgesamt 6.450 Quadratmetern ergibt sich dabei eine durchschnittliche Stickstoffreduzierung von 14%. Gleichzeitig sinkt der Lärmpegel um 2-4 Dezibel. Was nach wenig klingt, hat für das menschliche Gehör eine Reduzierung von 35-50% zur Folge.

Ein weiteres Ziel war es, den Modal Split, also die Aufteilung der verschiedenen Verkehrsmittel, vom individuellen Personennahverkehr in Richtung ÖPNV und Fahrrad voranzutreiben. Durch eine eigene Busspur fließt der Busverkehr schneller und verlässlicher und ist daher attraktiver. Neu geschaffen wurden auch insgesamt 1.900 Meter Radweg, ein großer Gewinn.

Im Zuge des Jahnplatzumbaus werden oftmals die hohe Kostensteigerung kritisiert. Hierbei wird außer Acht gelassen, dass nicht nur der Jahnplatz (13.000 qm), sondern große Teile des Oberntorwall (2.000 qm), der Friedrich-Verleger-Straße (2.400 qm), der Herforder Straße (1.800 qm), des Niederwalls (2.400 qm) und vor allem der Friedrich-Ebert-Straße (6.000 qm) saniert wurden. Viele dieser Aufträge kamen erst nach der ersten Kalkulation der Kosten hinzu, sodass nicht nur die Sanierung des Kernbereichs Jahnplatz eine Kostensteigerung erfahren hat, sondern das gesamte Sanierungsvorhaben. Insgesamt wurden in den zwei Jahren 28.500 Quadratmeter saniert.   

Neu geschaffen wurden dabei etwa 1.250 Meter an taktilen Blindenleitsystemen. Waren diese zuvor nur an den Bushaltestellen oder an ausgewählten Straßenquerungen vorhanden, ist nun die Lebensqualität und Selbstbestimmtheit für Menschen mit Sehbehinderung oder Blinde deutlich gestiegen. Auf den neuen Jahnplatz-Dächern wachsen auf einer Fläche von 950 Quadratmetern Sedum-Pflanzen, die nur auf einen nährstoffarmen Boden angewiesen sind und für einen Mikroklima-Effekt sorgen. Davon profitieren Insekten, die Luft wird gereinigt und die Temperatur sinkt.

Ins Auge fällt, dass wenig Grün vorhanden ist. Auch wenn nie eine italienische Piazza geplant wurde, wie die FDP meint, was am Hauptverkehrspunkt einer Stadt auch gar nicht möglich ist, kann hier definitiv nachgebessert werden. Doch warum wurden nicht mehr Bäume gepflanzt? Die Erklärung ist einfach wie ernüchternd.

Unterhalb der Jahnplatzdecke befindet sich zum einen das Jahnplatzforum, die dazwischenliegende Schicht von 50 Zentimetern wäre nicht tief genug für die Wurzeln von Bäumen. Logischerweise kann auch auf den Fahr- und Radstreifen kein Baum gepflanzt, kein Rasen ausgerollt werden. An den übrig gebliebenen Stellen ist das Erdreich von zahlreichen Rohren und Kabeln durchzogen, die ebenfalls keinen Spielraum für Vegetation lassen.

Andere Ideen mussten verworfen werden, da Rettungsgassen für die Feuerwehr vorhanden sein müssen. Die Jahnplatz-Dächer über den Rolltreppen, wie sie vorher waren, würden heute gar nicht mehr genehmigt werden. Gleichzeitig werden die bislang gepflanzten Bäume auch noch deutlich wachsen und dem Ganzen ein anderes Bild geben. Trotzdem wollen wir noch mit mobilem Grün nachhelfen.

Was kommt noch? Es kommt noch ein Highlight, das dem Jahnplatz gerade bei Nacht einen ganz neuen Charme geben wird. An sieben Masten, werden in elf Metern Höhe insgesamt 23 mondähnliche Lampen hängen, die je nach Jahreszeit und Anlass den Platz in ein anderes Licht setzen können. Spätestens beim Weihnachtsmarkt wird dieser Effekt erstmals für viel Freude sorgen. Zudem fehlen auch noch die Sitzbänke an Bushaltestellen. Es braucht also noch ein kleines bisschen Geduld, bis der Jahnplatz als Ganzes fertig ist und bewertet werden sollte.

Perspektiven mit Bielefelder Ausbildungsreport: Wir lassen keinen Menschen zurück!

Von Felix Wagner

Es ist ein großer Erfolg der SPD im Rat, dass es jetzt einen jährlichen Bielefelder Ausbildungsreport gibt. Bekannt sind solche Bestandsaufnahmen bisher nur von der Gewerkschaftsjugend. Bei uns kommt dem Ausbildungsreport die Funktion zu, eine bessere Datengrundlage zu schaffen – für unsere Politik im Rahmen des Bielefelder Ausbildungspakts.

Deshalb zuerst zum Leitbild unseres Bielefelder Ausbildungspakts. Wir haben es mit vielen Akteur*innen diskutiert und in enger Abstimmung mit den Bielefelder Gewerkschaften entwickelt. Unsere Überzeugung ist: Die international gefeierte duale Ausbildung darf nicht zum Auslaufmodell werden. Sie muss als attraktives Zukunftsmodell gestaltet werden, um wieder allen einen guten beruflichen Einstieg anzubieten. Hier sind Arbeitgeber*innen und die Bundespolitik in der Pflicht. Ein Revival des dualen Systems –betriebliche Ausbildung, parallel Berufsschulbesuche, Qualitätssicherung – bietet Bielefeld ein Win-Win-Win-Szenario.

Erstens geht es um den Gewinn für junge Menschen oder diejenigen, die im späteren Alter noch eine Ausbildung nachholen: Für sie alle bietet die duale Ausbildung einen anerkannten Qualitätsstandard, um einen Beruf zu erlernen und sich anschließend weiterzuentwickeln. Dies gilt zumindest dann, wenn auch die Attraktivität des Ausbildungsbetriebs gegeben ist: durch faire Bedingungen auf Basis von Tarifverträgen und Mitbestimmung, wie es unsere Sozialverfassung vorsieht. Fachlich gesehen werden duale Auszubildende gut vorbereitet für eine Berufswelt, die durch schnellere Veränderungen komplexer ist als in allen früheren Zeiten. Und für die politische Bewertung hat der Soziologe und Sozialdemokrat Heinz Bude in seinem Buch „Bildungspanik“ (2011) hergeleitet, dass es sich anbietet, „nicht den mittleren Schulabschluss, sondern die berufliche Erstausbildung als Bildungsminimum zu definieren.“ Er sieht hierin ein realistisches Gerechtigkeitsinstrument, um keinen Menschen zurückzulassen.

Zweitens geht es um den Gewinn für die Stadt Bielefeld: Sie ist als High Tech-, Wissens- und Qualitätsstandort darauf angewiesen, dass duale Ausbildung der Standard für die Breite ist – und bleibt. Anders lässt sich hohe lokale Wertschöpfung im globalen Wandel nicht absichern.

Drittens geht es um den Gewinn der Betriebe – sogar im engeren Sinn: Ihr wirtschaftlicher Profit wird immer stärker davon abhängen, dass jede interessierte Arbeitskraft qualifiziert und mindestens mittelfristig gebunden wird – am besten durch duale Ausbildung und gute Arbeit. Wo dies nicht geschieht, wird der demografische Wandel den betrieblichen Facharbeiter*innenbedarf Jahr für Jahr verschärfen, was den Erfolg oder sogar die Existenz vieler Unternehmen gefährdet.

Nur duale Ausbildung kann ohne Abi gleichwertige Chancen bieten

Aus dem Bielefelder Ausbildungsreport lassen sich für dieses Leitbild wertvolle Erkenntnisse ableiten. Denn mit Blick auf die Bielefelder Schulabsolvent*innen (2021) zeigt sich, dass 56% im „ersten Durchlauf“ keine Hochschulreife erlangen. Zusammengerechnet verfügt die Mehrheit beim ersten Schulabgang weder über Abi (39%) noch Fachabi (5%), sondern viele mittlere Abschlüsse (38%), Hauptschulabschlüsse (12%) und wenige Abgänge ohne Abschluss (6%) (siehe unten 1. Grafik). Zwar ist ein positiver Trend zu erkennen, dass immer weniger Schüler*innen die Schule ohne Abschluss verlassen, aber von anderen großen Verschiebungen oder einer vermeintlichen „Abiturbesoffenheit“ kann keine Rede sein. Es erwerben nicht „zu viele“ junge Menschen die Hochschulreife und besuchen Hochschulen. Dass sich viele akademisch orientieren, ist sinnvoll. Auch für die Breite der akademischen Berufe gibt es große Fachkräftebedarfe (aber mit häufig schlechteren Arbeitsbedingungen als z.B. für Facharbeiter*innen in der Industrie). So sinnvoll eine duale Ausbildung für Abiturient*innen und konkret z.B. Studienabbrecher*innen auch ist: Die große Zielrichtung für sozialdemokratische Ausbildungspolitik sollte sein, für die Mehrheit derjenigen ohne direktes Hochschulinteresse eine gleichwertige Berufsausbildung zu ermöglichen. Für diese Mehrheit wird der Einstieg mit dualer Ausbildung die größten Potenziale entfalten. Hier liegt es auch an den Betrieben, dies zu erkennen und systematisch zu befolgen, was in der Praxis belohnt wird.

Mit bundesdeutschen Standards von Tarifverträgen, Mitbestimmung und gelebter betrieblicher Weiterbildung bieten sich Entwicklungschancen auf dem Niveau akademischer Bildung. Individueller Aufstieg und gesamtgesellschaftlicher Fortschritt müssen Hand in Hand gehen – das ist der Kern sozialdemokratischer Ausbildungspolitik.

Dass die duale Ausbildung in Bielefeld gerade bei mittleren Schulabschlüssen noch große Potenziale hat, offenbart unser Ausbildungsreport: Nur 20% der Schüler*innen mit Hauptschulabschluss und sogar nur 16% mit Fachoberschulreife („Realschulabschluss“) starten direkt nach der 10. Klasse in eine duale Ausbildung. Aber zusammengerechnet verbleiben 53% in einem weit gedachten „Übergangssystem“ (26% in vollschulischen, nicht gymnasialen Berufsschulgängen, 9% im Übergangssystem der Berufsschule, 9% orientieren sich ohne Bildungsgang, 10% arbeiten direkt oder entziehen sich dem System) (siehe unten 3. Grafik). In diesem „Übergangssystem“ liegen große Win-Win-Win-Potenziale für Bielefeld und die duale Ausbildung. Denn die Übergangsoptionen bieten keine direkt wirksame Arbeitsmarktqualifikation. Mit der Übergangslösung wird es jungen Menschen nicht möglich sein, als anerkannte Facharbeiter*innen durchzustarten und sich beruflich weiterzuqualifizieren. Das ist der Unterschied zur dualen Ausbildung.

Damit wir keinen Menschen zurücklassen: Erkenntnisse umsetzen, harte Fragen klären

Unsere nächsten Schritte in der Ausbildungspolitik werden genau hier ansetzen. Antragsentwürfe sind in der Diskussion. Für die zukünftigen Facharbeiter*innenbedarfe bieten sich tolle Perspektiven – mit mehr und schnelleren Übergängen in die duale Ausbildung. Dies gilt gerade für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Diversität, die bisher in der dualen Ausbildung in Bielefeld noch unterrepräsentiert sind.

Für die bessere Gestaltung sozialdemokratischer Ausbildungspolitik werden wir den Ausbildungsreport als Analysewerkzeug laufend weiterentwickeln. Unser Leitbild lässt keinen Menschen zurück. Wir sehen, welche Möglichkeiten die duale Ausbildung so vielen Menschen schon gegeben hat. Und deshalb haben wir die Potenziale derjenigen klar auf dem Schirm, die bisher noch keine qualifizierte Erstausbildung absolviert haben. Wir werden anregen, dass die Potenzialanalyse des Ausbildungsreports bei diesen wichtigen Fragen die Komfortzone verlässt, also selbstkritisch wird: Wie steht es um Menschen (gerade unter 25), die sich bisher ohne jede Berufsausbildung durchschlagen, also mit Grundsicherung und/oder prekärer Arbeit, Minijobs und Leiharbeit? Wie setzt sich diese Gruppe zusammen? Mehr noch: Worin bestehen erfolgsversprechende Ansätze, um Menschen durch duale Ausbildung zu qualifizieren, also die Win-Win-Win-Potenziale zu heben? Auf diese harten Fragen müssen wir noch bessere Antworten geben. Aus sozialdemokratischer Überzeugung, dass wir keinen Menschen zurücklassen. Und aus wirtschaftlicher Verantwortung in Zeiten großer Umbrüche: Bielefeld kann es sich nicht mehr leisten, Potenzial links liegen zu lassen.