Bielefeld macht den Anfang: Mit unserem Ausbildungspakt in Richtung Ausbildungsgarantie!

von Felix Eggersglüß und Markus Kollmeier

Weltweit als Erfolgsmodell gefeiert, aber aktuell schwer angeschlagen: Bundesweit und vor Ort – wie bei uns in Bielefeld – steckt die duale Ausbildung in einer schweren Krise. Damit duale Ausbildung, diese unschlagbare Kombination aus Theorie und Praxis, nicht zum Auslaufmodell wird, braucht es große Kraftanstrengungen. Von der Möglichkeit einer beruflichen, dualen Erstausbildung sind die Lebenschancen vieler Menschen abhängig. Und umgekehrt haben wir zukünftig einen hohen Fachkräftebedarf. Gerade für „Gute Arbeit der Zukunft“ brauchen wir top qualifizierte Beschäftige in Bielefeld. Deshalb haben wir uns als Bielefelder SPD-Ratsfraktion hier inhaltlich vertieft: mit einer Reihe Fachexpert:innen und in enger Abstimmung mit den DGB-Gewerkschaften. Das Ergebnis ist ein lokaler Handlungsplan: unser Bielefelder Ausbildungspakt! Nach Abstimmungen in unserer rot-grün-roten Stadtratskoalition bringen wir diesen jetzt auf den Weg. Wir handeln konkret – aber brauchen bei der Bundestagswahl noch ordentlichen Rückenwind: Durch gute Lösungen für eine solidarische Ausbildungsgarantie, wie sie Gewerkschaften und SPD fordern!

Ausbruch aus der Sackgasse: Probleme erfassen, um Ausbildungsmarkt zu beleben!

Die Krise auf dem Ausbildungsmarkt ist gravierend. Bundesweit gibt es einen deutlichen Rückgang bei den jährlich abgeschlossenen Ausbildungsverträgen: Während es 2011 noch knapp 570.000 neue Azubis waren, sind es 2019 nur noch ca. 525.000 gewesen. Und im Corona-Jahr 2020 ist die Zahl auf weit unter 500.000 gefallen. Die Ausbildungsquote ist ebenfalls zurückgegangen: Nach bundesweiten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung von insgesamt 6,5% Azubis an der Gesamtbeschäftigtenzahl in 2007 auf nur noch 4,8% in 2018 – Corona noch außen vor! Und jüngst hat die Bertelsmann-Stiftung erst ermittelt, dass nur noch 20% der Betriebe auch Ausbildungsbetriebe sind.

 

Wenn alle anderen jungen Menschen stattdessen eine gleichwertige, z.B. akademische Ausbildung absolvieren würden, wäre das Problem ein anderes. Doch dies ist leider nicht der Fall: Schon in den letzten, wirtschaftlich guten Jahren gingen allein in NRW über 20.000 junge Menschen bei der Suche nach einer dualen Ausbildung leer aus – jedes Jahr die Größenordnung einer Kleinstadt! Das hat schon vor der Corona-Krise dazu geführt, dass sich in den allermeisten Kreisen und kreisfreien Städten Tausende junge Menschen (unter 25 Jahre alt) zusammenrechnen lassen, die keine Berufsausbildung gemacht haben. Weitgehend ausgeblendet von den gängigen Statistiken! Diese jungen Menschen halten sich mit ungelernten Tätigkeiten oder Gelegenheitsjobs über Wasser. Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium hat bereits 2015 analysiert, dass es eine wachsende Zahl (damals geschätzt 50 -100.000) Jugendlicher gibt, die durch kein Gesetz mehr erreichbar sind, und Unterstützung durch Jobcenter und Jugendämter gemeinsam finanzierten Projekte nach § 16h SGB II erhalten. In der Pandemie wird nach Expertenmeinung die Zahl dieser Jugendlichen sich verdoppelt haben.  Sie rutschen oft dauerhaft in die Arbeitslosigkeit ab. Oder sie sind stark eingebunden in familiäre Care-Arbeit, häufig überbelastet damit – was leider häufiger für junge, teils alleinerziehende Frauen gilt. Diese Tausenden jungen Menschen können ihr eigenes, berufliches Potenzial kaum entwickeln. Hinzu kommt: aus volkswirtschaftlicher Sicht wären sie genau die Fachkräfte, die wir zukünftig so dringend brauchen – gerade aufgrund der demografischen und technologischen Umbrüche!

Die Corona-Krise hat die Probleme massiv verschärft. Weitere Ausbildungsstellen sind weggebrochen – andere blieben unbesetzt. Es gibt große Image- und Attraktivitätsprobleme bei freien Ausbildungsstellen – auch für die duale Ausbildung insgesamt. Die jungen Menschen stimmen mit den Füßen ab, entscheiden sich aktuell häufig gegen so einen Weg. Aber eine gute duale Ausbildung würde ihnen die besten Zukunftschancen bieten. Deshalb ist es höchste Zeit, die Probleme bei den Wurzeln zu packen. In Bielefeld haben wir den Anfang gemacht.

Vor Ort - in ihren Vierteln, auf ihren Plätzen und zu Hause müssen Jugendliche und junge Menschen gezielt angesprochen werden. Viele Heranwachsende sind seit Beginn der Corona-Pandemie nicht nur unversorgt mit Ausbildungsplätzen. Die Zukunftsängste sind gewachsen, verbunden auch mit höherer psychischer Anfälligkeit. Ausgleich und Freizeitangebote waren seit Frühjahr 2020 Mangelware. Probleme haben sich aufgestaut. Dass eine Ausbildung oder berufliche Tätigkeit fehlt, ist ein zentrales Problem – unter vielen. Aber der Weg in eine duale Ausbildung würde für die Betroffenen viele Probleme lösen und Chancen bieten. In diese Kerbe stößt unser „Bielefelder Ausbildungspakt“. Alters-, geschlechter- und vielfaltssensibel können wichtige zusätzliche Angebote gemacht werden. Ganz konkret wird er zusätzliche Ausbildungsstellen besetzen.

 

Jährlicher Bielefelder Ausbildungsreport: Weil es bisher an guten Daten fehlt!

Wer sich mit den zugänglichen Rahmendaten eines (lokalen) Ausbildungsmarkts auseinandersetzt, stößt immer auf den Vergleich zwischen ausgeschriebenen Ausbildungsstellen und gemeldeten Bewerber:innen. In Bielefeld und anderswo sind die Zahlen der Bewerber:innen in den letzten zwei Jahren stärker gesunken als die der Ausbildungsstellen. Eine einfache, arbeitgebernahe Analyse kann sich hiermit begnügen: „Es sind doch mehr Ausbildungsstellen als Bewerberinnen und Bewerber da. Die Unternehmen und die Ausbildungsstellen können also nicht das Problem sein!“ – heißt es von vielen. Aber weder sind die Studierendenzahlen zuletzt durch die Decke gegangen – noch sind die Schulabsolvent:innen plötzlich stark gesunken. Die jungen Menschen, die eine Berufsausbildung brauchen, sind weiterhin da! Aber sie sind nicht stimmig von den gängigen Zahlen des Ausbildungsmarktes erfasst, da diese nur von Arbeitsagentur und Jobcenter erfasste Bewerber*innen ausweist. Da aber der Kontakt wegen der Pandemie und der Bearbeitung von Kurzarbeitergeld vielfach fehlte, sind erheblich weniger Bewerber*innen ausgewiesen. Das ist ein großes Problem. Deshalb lassen wir jetzt erstmals einen jährlichen Bielefelder Ausbildungsreport erstellen. Dieser soll u.a. gemeinsam mit den Gewerkschaften, Kammern und den Arbeitgeber:innen erarbeitet werden. Auf Basis der Schulabgänger:innen sollen dort die Anforderungen junger Menschen an Berufsausbildung erfasst werden – im Vergleich zu den Rahmenbedingungen des lokalen Ausbildungsmarktes, also dessen sehr unterschiedlichen Bedingungen. Auch die Zukunftsprognosen für den Bielefelder Arbeitsmarkt sollen dabei berücksichtigt werden: z.B. Umbrüche durch Demografie, Digitalisierung und ökologischen Umbau. Mit dem Bielefelder Ausbildungsreport wird für uns eine wertvolle Handlungsgrundlage geschaffen: Um die duale Ausbildung wieder attraktiv zu machen für alle, die wir dafür gewinnen können.

 

Bielefelder Ausbildungspakt: Regelmäßig allen an den Tisch holen! 

Wir schaffen nicht nur eine ehrliche Bestandsaufnahme, sondern auch eine bessere Handlungsbasis: Damit greifen wir den wichtigen Impuls unseres SPD-Oberbürgermeisters Pit Clausen auf, der den jährlichen „Bielefelder Ausbildungsgipfel“ eingeführt hat. Beschlossen ist jetzt, dass dieser zu einem Bielefelder Ausbildungspakt ausgebaut wird. Regelmäßig wird der Oberbürgermeister hierfür alle Beteiligten zur Beratung zusammenrufen: Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite, aber auch gesellschaftliche Akteur:innen wie Beratungslehrer:innen der Schulen, Eltern- und Schüler:innenvertretungen. Ziel ist es, Maßnahmen miteinander abzustimmen – natürlich auf der Basis der besseren Daten. Die Idee: Wenn an z.B. den allgemeinbildenden Schulen mit Förderprogrammen die Berufswahlorientierung für das Handwerk gestärkt wird – dann bieten sich für das Handwerk vielleicht neue Anknüpfungspunkte, z.B. für Schulkooperationen und die Auswahl von neuen, zusätzlichen Azubis.

 

Bielefelder Ausbildungsfonds: Berufsbildung ist teuer, aber zahlt sich mehrfach aus!

Wir sind fest davon überzeugt: Eine Stärkung der dualen Ausbildung, sogar eine Ausbildungsgarantie kann gelingen – aber nur dann, wenn wir alle in die Vollen gehen! Eben weil es um die Zukunft geht. Und weil sich jeder Euro mehrfach auszahlt, den wir in gute, praktische Berufsbildung investieren. Gerade in der Krise ist es für die Arbeitgeber:innen ein Kraftakt, die berufliche Ausbildung zu stabilisieren – oder sogar zu stärken. Deshalb ist es ein riesiger Erfolg der SPD im Bund, dass hohe Fördersummen an die Betriebe ausgezahlt werden, die ihr Ausbildungsniveau halten oder ausbauen. Aber wir werden auch als Stadt Bielefeld in die Vollen gehen: Mit einem eigenen, zusätzlichen Ausbildungsfonds. Dieser soll Förderlücken schließen, neue Ansprache-Möglichkeiten schaffen und ganz praktisch zusätzliche, anerkannte duale Ausbildungsplätze finanzieren. Die Verwaltung wird ein Konzept entwerfen, dass hierfür jährlich finanzielle Mittel von 2 Mio. Euro bereitstellt – inklusive eines angemessenen finanziellen Anteils aus dem städtischen Haushalt! Für uns ist das ein wichtiger Baustein für eine „Bielefelder Aufstiegsgesellschaft“, die allen Perspektiven schafft – gerade für besondere Zielgruppen, wie z.B. Alleinerziehende.


Nächste Station: Solidarische Ausbildungsgarantie mit SPD-geführter Bundesregierung!

Wir stellen uns in Bielefeld der Verantwortung, allen jungen Menschen eine gute, berufliche Perspektive zu geben – und gleichzeitig echte Antworten für den zukünftigen Fachkräftebedarf zu finden. Aber kommunal sind dabei unsere Möglichkeiten begrenzt. Und die Unterstützung der schwarz-gelben NRW-Landesregierung hält sich leider in Grenzen. Deshalb ist es so wichtig, dass die SPD gestärkt aus der kommenden Bundestagswahl hervorgeht: Denn nur mit einer SPD-geführten Regierung kann es endlich den Rahmen für eine solidarische Ausbildungsgarantie geben: Wir müssen den Arbeitgeber:innen den Rücken stärken, die gut ausbilden oder dies gerne würden. Und andersherum braucht es endlich einen gesellschaftlichen Beitrag von Arbeitgeber:innen, die nicht ausbilden, aber zukünftig Fachkräfte „abgreifen“ wollen. Aber uns geht es nicht nur um „Fachkräftesicherung“. Wir wollen keinen (jungen) Menschen zurücklassen. Alle verdienen eine Chance auf eine gute berufliche Erstausbildung. Das ist der Schlüssel zur eigenen beruflichen Entfaltung – und zu einem selbstbestimmten Leben. Dafür kämpfen wir als Sozialdemokrat*innen auf allen Ebenen.