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Rede von Thomas Wandersleb zu TOP 5 „Aufnahme minderjähriger unbegleiteter Geflüchteter aus Seenot“ der Ratssitzung am 27. September 2018

Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

es wird Sie nicht verwundern, dass wir dem Vorschlag des Oberbürgermeisters zustimmen und dass wir ihm auch dankbar sind, dass er diesen auf den Weg gebracht hat.

Ich möchte zunächst erklären, worum es eigentlich geht und halten sie es mir nach: ich habe mich schon zweimal zu diesem Thema geäußert. Von daher will ich mich auf wenige wichtige Punkte beschränken, und Sie erlauben mir, Herr Oberbürgermeister, dass ich auch ein paar grundsätzliche Sätze sage.

Also, worum geht es? Es geht darum, dass wir den Oberbürgermeister beauftragen, Bundes- und Landesregierung mitzuteilen, dass wir bereit sind, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Und es geht darum, dass die Verwaltung beauftragt wird, notwendige Kapazitäten für diese Aufnahme zu organisieren.

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Ich glaube nicht, dass der Brief der Aktivisten der Aktion Seebrücke den Oberbürgermeister erst auf den Weg gebracht hatte. Ich glaube, wir alle haben mit diesem Gedanken schon gespielt, aber ich bin dankbar, dass wir diesen Brief als einen deutlichen Anstoß bekommen haben. Er ist am 8. August geschrieben worden, er ist bei uns wenige Tage später eingegangen und zwar – das sage ich deutlich – bei allen Fraktionen. Es hätten alle reagieren können, und der Oberbürgermeister hat reagiert.

Einen „Akt der Humanität“ hat es Frau Schmidt (Vorsitzende Fraktion „Die Linke“) genannt. Ich sage, es ist erstmal ein Signal, ein deutliches Zeichen. Vielleicht auch ein Fingerzeig, ein Symbol nach außen und auch nach innen. Bielefeld ist bunt und weltoffen und will dies auch bleiben. Bielefeld will eine andere Flüchtlingspolitik, das ist in dem Schreiben an die Bundeskanzlerin zu lesen. Bielefeld will Menschen Hilfe anbieten, die aus Lebensgefahr gerettet wurden.

Die Gegenargumente haben wir schon gehört: Schlepper werden ermutigt, es sei ein Wahlkampf-Manöver, nicht abgesprochen, die Kapazitäten werden in Frage gestellt, die europäische Flüchtlingspolitik wird damit nicht geändert.

Lassen sie mich beim letzten Argument anfangen. Das war, glaube ich, nie die Intention. Wir würden uns ja überheben, wenn wir glauben, als Bielefeld – das bei manchen ja gar nicht existiert – die europäische Flüchtlingspolitik ändern zu können. Aber mit diesem Symbol können wir deutlich machen, dass wir mit ihr nicht einverstanden sind.

Schlepper werden ermutigt, durch die Zustände vor Ort, nicht durch das Zeichen Bielefelds. Schlepper werden ermutigt durch die europäische Flüchtlingspolitik, nicht durch den Akt der Humanität, den wir hier auf den Weg bringen wollen. Und Schlepper werden ermutigt durch ein immer noch nicht vorhandenes Einwanderungsgesetz, zu dem wir uns nun endlich durchringen müssen. [klatschen]

Ich sagte es schon: Jede und jeder hätte reagieren können, der Oberbürgermeister hat reagiert. Und jetzt zu sagen, es wäre ein Wahlkampf-Manöver, finde ich doch sehr einfach vor dem Hintergrund des Gewichts des Inhalts. Außerdem: würde es etwas an dem Akt der Humanität ändern, wenn es ein Wahlkampf-Manöver wäre? Lassen Sie mich das mal so rhetorisch fragen – ich glaube nicht.

Und deswegen werbe ich immer noch auch um die Unterstützung derjenigen, die aus diesen Gründen es ablehnen. Was die Kapazitäten angehen – Frau Schmidt hatte es gesagt – wir haben 2015 die Zuwanderung gestemmt durch die Hilfe vieler Ehrenamtlicher, vieler Aktionen, für die wir dankbar sind. Wir werden es auch diesmal stemmen. Und wir müssen uns klar sein: Es gibt keine Flüchtlingsschwemme, sondern es gibt Menschen, die kommen. Und Frau Schmidt hat es auch gesagt: Niemand flüchtet aus seinem Land ohne einen guten Grund. [klatschen]

Die europäische Flüchtlingspolitik wird durch dieses Zeichen nicht geändert, aber ein Zeichen, ein Signal, ein Fingerzeig bleibt, an dem sich vielleicht auch unsere Politikerinnen und Politiker in Europa, aber auch im Bund und im Land orientieren können.

Nun noch ein paar grundsätzliche Sätze. Am 1. Juli 1969 wurde, vor fast 50 Jahren, Gustav Heinemann vereidigt und in seiner Rede zu seinem Amtseid hat er folgende Worte gesagt: „Wir stehen erst am Anfang der ersten wirklichen, freiheitlichen Periode unserer Geschichte. Freiheitliche Demokratie muss endlich das Lebens-Element unserer Gesellschaft werden. Nicht weniger, sondern mehr Demokratie, das ist die Forderung. Das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben. Es gibt schwierige Vaterländer, eines davon ist Deutschland.“ Leider wird der letzte Satz dieses Zitates immer weggelassen, der lautet nämlich: „Aber es ist unser Vaterland.“

Es ist das Ziel dieser Initiative des OB ein Zeichen gegen die Abschottung zu setzen, für Menschenrechte einzutreten, an den Artikel 1 des Grundgesetzes zu erinnern, um deutlich zu machen: wir lassen uns von anderen unser Vaterland, unsere freiheitliche Demokratie nicht wegnehmen.

Alle nachfolgenden Regierungen, von welchen Parteien sie auch getragen wurden, haben sich diesem Motto „mehr Demokratie wagen“ verpflichtet gefühlt. Der Soziologe Armin Nassehi stellt fest: dadurch haben sich sogenannte Inklusions-Schübe entwickelt. Gruppen, die vorher nicht viel zu sagen hatten, wurden in die Gesellschaft integriert, ihnen wurde durch Bildungsexpansion zu sozialem Aufstieg verholfen, sie erreichten zu kulturelle Teilhabe. Arbeiter und Arbeiterinnen, Frauen, sexuelle Minderheiten, sogenannte ethnische Fremde. Heute ist unverkennbar, dass wir in unserer Gesellschaft, in unserm Vaterland, Schwierigkeiten haben, mit dem Inklusions-Schub, der Zuwanderung umzugehen. Darum gilt es, Zeichen und Signale zu setzen, dass wir unsere Demokratie mit allen Möglichkeiten verteidigen.

Der Philosoph Gadamer sagt, „Bildung ist die Fähigkeit, die Welt aus der Perspektive des Anderen zu sehen“. Das ist, glaube ich, der Weg, wie wir heute das Gespräch und die Auseinandersetzung suchen müssen. Lassen Sie mich zum Abschluss aus dem Brief des Oberbürgermeisters zitieren: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken, während sich die europäischen Länder nicht über Aufnahmequoten und Zuweisungs-Verfahren einigen können. Bielefeld steht zu den Grundfesten unseres Zusammenlebens. Dazu gehören Humanität, das Recht auf Asyl und auch das Gebot zu Hilfeleistung, wenn sich ein Mensch in Not befindet. Bielefeld kann einen aktiven Beitrag, grade für die besondere Gruppe der Kinder oder Jugendlichen leisten, die als Flüchtlinge in Seenot geraten sind.“

In diesem Sinne bitte ich Sie, diesen Antrag zu unterstützen.

Ich danke Ihnen.

 
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Thomas Wandersleb ist schulpolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Jugendpfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Bielefeld und kommt aus Baumheide.