"Erst mal einen starken Kaffee ..."

Ingo Stuke zur Wahlnacht in den USA

"Erst mal einen starken Kaffee ..."
so Ingo Stucke, stellvertretender Vorsitzender der SPD in Bielefeld, nach der gestrigen Wahlnacht in den USA. Nachdem er sich dann noch fett Peanut-Butter aufs Brot geschmiert hat, schildert der New York-Urlauber seine Eindrücke von der Wahlparty von Hillary Clinton im Javis Convention Center in Manhattan:

"Der Ausgang der Präsidentschaftswahl gibt einige Rätsel auf. Ich will ein kleines (Bilder-)Rätsel hinzufügen: Was ist der Unterschied zwischen den beiden Fahnen? Beides "Stars and Stripes", beide gleich groß. Nur die mit dem weißen Holzstab ist länger als die schwarze Plastikstange mit der goldenen Spitze. Welche gehört nun zu welcher Partei?

eim Hillary Election Night Event wurde den Besuchern zu Beginn die kleinere in die Hand gedrückt. Sie kam im Laufe der folgenden Stunde nur selten zum Einsatz. Die mit dem weißen Stab schenkte mir freudestrahlend ein Trump-Anhänger, der gerade von seiner Party kam, als auch ich schon mit der Metro heimwärts fuhr. Tausende vor allem junger Menschen hatten sich in dem Konferenzzentrum versammelt, das weiträumig abgeriegelt war. Sinnigerweise waren es massive Müllfahrzeuge, die die Zufahrtsstraßen sowohl zu den Demokraten wie zu den Republikanern absperrten. Wenn der Trubel vorbei ist, werden die Kampagnenreste abgeräumt. Manche Hoffnungen und Erwartungen gleich mit. Das sah man in den enttäuschten und müden Gesichter. Dabei waren sie alle hoch engagiert gewesen, tagsüber viele noch in Pennsylvania zum Wahlkampf. Denn um die wenigen "Swinging-States" geht es. New York selbst ist eine sichere Bank für die Demokraten. Denn in den Metropolen spiegelt sich die Vielfalt in Herkünften und Lebensstilen, die sich bei Hillary Clinton in ihrer Diversity besser aufgehoben sah als bei Donald Trump.

Aber zwei Wahrheiten bestätigten sich an diesem Wahlabend: Erstens, New York ist nicht Amerika. Das Land ist kulturell und ökonomisch geteilt zwischen den Küsten und dem Landesinneren. Die besser gebildeten und liberaleren Küstenbewohner sprechen manchmal herablassend von den "Fly-Over-States". Was zum gegenseitigen Ressentiment beiträgt.

Die zweite Wahrheit ist eine mehr politische und wahltaktische: Wer eine "softe" Politik für alle möglichen Minderheiten macht, hat damit noch nicht automatisch die Mehrheit. Insbesondere wenn man die harten Fragen sozialer Umverteilung und die folgen neoliberaler Ökonomisierung vieler Lebensbereiche ausblendet. Es ist dabei eine Ironie, oder, mit Marx gesprochen, eine Farce, dass die einfachen Lösungsversprechen des Populismus so leicht verfangen. Dabei ist Donald Trump ein begabter Kommunikator und seine Inszenierung als "enfant terrible" des Establishments schon faszinierend. Sein Slogan "Make America Great Again" war ein gelungener Schachzug. Der Konter der Demokraten blieb dabei blass und genauso realitätsfremd: "America Is Already Great". Wer nur wenige Meilen aus Manhattan raus fährt in die Tristess mancher Vororte, der fühlt sich straßenweise eher an Entwicklungsländer erinnert als an die führende Nation der westlichen Welt.

Beide Fahnen sind gleich groß. Und es sind die Nationalfarben, keine Parteifahnen. Dass nach acht Amtsjahren eines demokratischen Präsidenten nun ein republikanischer Präsident folgt, ist nichts Ungewöhnliches und ganz normal in einer Demokratie. Der Wechsel gehört dazu. Zur Einschätzung eines anderen politischen Systems gehört immer auch die Vorsicht und die Beachtung einer unterschiedlichen Kultur. Letzteres vergisst man allzu leicht. Mir wurde es bei der Einstimmung zum Wahlabend klar. Mit meinem Kumpel Jon (die Amis sind großartige Gastgeber!) war ich zu einem Feierabendbier in Downtown. Und die Geschmäcker sind halt verschieden: Zielsicher wählte er zwischen vierzig möglichen Sorten die Sauerbiere aus, die für einen Ostwestfalen an den Rande des Genießbaren gehen. Und er fand es wiedrum langweilig, dass wir immer nur Pils trinken.

Was kann und sollte man von einer solchen Wahlnacht lernen? US-amerikanische Politiker sind große "Story teller", was man besser versteht, wenn man auch mal einen Einblick in die Predigtkultur dieses Landes genommen hat. US-Wahlkämpfe sind beeindruckende Inszenierungen und Personalisierungen. Professionell werden "Helden" produziert, auf die man seine Hoffnungen richten kann. Aber ist das wünschenswert? Für meinen Geschmack bevorzuge ich das klassische Pils und die Langeweile deutscher Politik. Oder mit Bertold Brecht: Unglücklich das Land, das keine Helden hat - Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.