Am 11. Mai ist der Tag der Kinderbetreuung. Es beginnt die 9. Woche, in der die Kita für den Großteil der Kinder geschlossen bleibt und sie komplett zuhause betreut werden. Gerade wurde bekannt, dass das bei uns in NRW auch erstmal so bleiben wird. Was macht das mit Familien, für deren Alltag professionelle Kinderbetreuung „systemrelevant“ ist?
Meine Töchter sind fünf und zwei Jahre alt, mein Mann und ich arbeiten beide in „nicht systemrelevanten“ Berufen. Wie so viele Familien haben wir vom Sprintmodus schon lange in den Marathonmodus umgeschaltet, aber auch uns geht langsam die Puste aus. Dabei haben wir wirklich Glück; wir haben zuhause genug Platz und sogar einen Garten. Mein Mann und ich können größtenteils von zuhause arbeiten und die Kinder haben immerhin einander. Und trotzdem: Puzzeln, vorlesen, Memory spielen, Videokonferenzen, berufliche Telefonate, kochen, waschen, einkaufen, Denkarbeit, verstecken spielen, trösten, kuscheln, E-Mails schreiben - den Anforderungen zweier Kinder in unterschiedlichem Alter gerecht zu werden, Leistung im Job zu bringen und zuhause nicht im Chaos zu versinken, ist gleichzeitig einfach nicht möglich. Bei uns werden exklusive „Arbeitszimmerzeiten“ mittlerweile hart verhandelt und im Kalender festgehalten, die Nächte werden länger, die Kinder werden unzufriedener, der Druck und das schlechte Gewissen wachsen. Wenn jetzt noch wirtschaftliche Sorgen oder Homeschooling dazu kämen…na dann gute Nacht!
Kinder und Eltern verdienen Solidarität
Für mich sind die WhatsApp-Gruppen der Kitaeltern gerade ein guter Indikator für die Stimmung in anderen Familien. Nachdem von NRW Familienminister Stamp der Kita-Öffnungsplan vorgestellt wurde, sind diese Gruppen geradezu explodiert. Ungläubigkeit, Verzweiflung, Wut. Überall wird großzügig gelockert, für die meisten Familien bleibt auf absehbare Zeit alles wie es ist. Solange meine Kinder weder im Möbelhaus noch im Biergarten oder im Fitnessstudio betreut werden können während ich arbeite, finden die Lockerungsschritte völlig entkoppelt von meiner Lebenswirklichkeit als Mutter statt. Bundesliga gucken die Kinder übrigens leider auch nicht. Ich höre von vielen Eltern, dass sie sich alleine gelassen fühlen und wir alle haben den Eindruck, dass unsere Interessen und die Interessen unserer Kinder bei den Abwägungsprozessen zu Lockerungen kaum Gewicht haben. Es gibt viele Kinder, die gerade wirklich leiden und nicht die Aufmerksamkeit und Förderung bekommen, die sie brauchen. Für mich ist es geradezu absurd, dass ich ab dem 30. Mai mein Handballtraining wiederaufnehmen darf - mit Vollkontakt und in der Halle - bevor unsere Kinder auch nur einen Tag in die Kita durften.
Familien brauchen jetzt konkrete Unterstützung. Dass Pit Clausen seinen Handlungsspielraum genutzt hat und den Bielefelder Familien sofort die Kitagebühren erlassen hat, war gut. Der Notfall-Kinderzuschlag war eine wichtige Sofortmaßnahme. Aber was ist mit einem generellen Zuschuss für Familien, der z.B. mit dem Kindergeld ausgezahlt wird? Einkommensausfälle setzen besonders Familien mit kleinem- und mittlerem Einkommen gerade stark unter Druck und es fallen einfach mehr Kosten an, wenn keine öffentlichen (Betreuungs-) Angebote mehr wahrgenommen werden können. Was ist mit einem Corona-Elterngeld wie es von Ökonom*innen des DIW gefordert wird? Es muss Eltern jetzt möglich sein, die Arbeitszeit zu reduzieren - bei gleichzeitigem Lohnersatz und Kündigungsschutz. Es wird gerade viel von Solidarität gesprochen. Viele Familien fragen sich mittlerweile: Wo ist eigentlich die Solidarität mit uns?
Private Carearbeit muss sichtbarer und gerechter verteilt werden
Die geringe Priorisierung von Kinderbetreuung bei den Lockerungsschritten legt gerade gnadenlos offen, dass private Carearbeit gesellschaftlich immer noch unsichtbar ist und nicht als das angesehen wird, was sie ist: Nämlich Arbeit, nur eben unbezahlt. Wie hätte sonst jemand auf die Idee kommen können, dass man sie monatelang mal eben so nebenbei zur normalen Erwerbsarbeit erledigen kann?
Schon vor Corona wurde die Carearbeit in Familien überproportional von Frauen geleistet. In der Krise verstärkt sich nun diese Tendenz. Bevor der Laden unter der Mehrbelastung komplett zusammenbricht, konzentriert man sich auf die eingeübte Rollenverteilung: Der Mann ist für die Erwerbsarbeit zuständig und sichert das Haushaltseinkommen. Die Frau übernimmt Haushalt und Kinderbetreuung und steckt beruflich zurück. Für Frauen bedeutet das: Weniger Gehalt, geringere Rente, verminderte Karrieremöglichkeiten. Es wird schwierig sein, dies nach Corona einfach so wieder zurück zu drehen. WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger befürchtet gar, dass wir drei Jahrzehnte im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit verlieren.
Umso wichtiger ist es gerade jetzt, strukturelle Rahmenbedingungen zu schafften, damit partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit in Zukunft leichter wird. Wir müssen daran arbeiten, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen. Der Anteil von Frauen in systemrelevanten Berufen beträgt 75%. Eine Aufwertung dieser Berufe durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen wäre ein guter Anfang. Das Ehegattensplitting gehört endlich abgeschafft, damit die traditionelle Arbeitsteilung nicht länger steuerlich incentiviert wird. Viele Familien wünschen sich eine Familienarbeitszeit. Beide Elternteile würden dann zu gleichen Teilen Stunden von ihren Vollzeitjobs reduzieren und ein Familiengeld federt die finanziellen Einbußen ab. Und die wichtigste Voraussetzung für eine gerechtere Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit in Familien vor, während und nach Corona: Eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige und kostenfreie Kinderbetreuung.
- Judith Wend