Vor 75 Jahren wurde die Partei in der Stadt wieder begründet
von Joachim Wibbing
Am 26. Oktober 1945 – vor 75 Jahren – wurde die sozialdemokratischen Partei Bielefelds in der Rudolf-Oetker-Halle nach der Zeit des NS-Regimes feierlich wieder begründet. Die erforderliche Lizensierung durch die britische Besatzungsmacht erfolgte jedoch erst am 5. Januar des folgenden Jahres. Die SPD eröffnete damit den Reigen der Neu- oder Wiedergründungen der politischen Parteien auf kommunaler Ebene: der CDU, der KPD, der FDP und des Zentrums. Bis zum 15. September 1945 hatte es ein Versammlungsverbot gegeben, was die Bildung von Parteien unmöglich machte.
Die SPD
Die SPD-Funktionäre aus der Weimarer Republik hatten die NS-Zeit zumeist überlebt. Die Partei konnte deshalb organisatorisch an die Zeit vor 1933 anknüpfen. Viele Jüngere waren zudem im Krieg gefallen. So „mussten noch einmal die Alten ran“: Carl Severing (1875-1952), Carl Schreck (1873-1956) und Emil Groß (1904-1967), Artur Ladebeck (1891-1963) oder Josef Köllner (1872-1951). Die Sozialdemokraten begannen sofort nach dem Einmarsch der Amerikaner am 4. April 1945 mit dem Wiederaufbau ihrer Partei. Schon einige Tage nach der Besetzung Bielefelds fanden illegale Gespräche alter SPD-Funktionäre bei Wilhelm Generotzky in Brackwede und Carl Severing in Bielefeld statt. Auf diesen Versammlungen wurde über die wichtigen Probleme der damaligen Zeit – Nahrung, Wohnung, Kleidung – sowie über die Neuorganisation der SPD gesprochen. Diese Treffen waren illegal, weil die Besatzungsmacht jeglicher Art von Versammlung untersagt hatte, weiterhin erschwerte die Ausgangssperre diese Treffen. Am 1. Mai 1945 fand bereits eine kleine improvisierte Maifeier am Bunten Haus in der Senne statt. Am 5. Oktober 1945 stellte Emil Groß bei der Militärregierung einen Antrag zur Gründung der SPD, nachdem zuvor am 15. September 1945 die Verordnung der Militärregierung über Gründung und Bestätigung politischer Parteien in Kraft getreten war. Dem Antrag von Groß wurde am 4. Januar 1946 stattgegeben. Aber schon am 26. Oktober 1945 fand die öffentliche Gründungsfeier des SPD-Kreisvereins Bielefeld-Stadt in der Bielefelder Oetker-Halle statt. Die zeitliche Reihenfolge der Termine der Stattgabe des Antrages und der Gründungsfeier erscheint etwas merkwürdig. Die Gründungsfeier muss aber mit Genehmigung der Militärregierung stattgefunden haben, weil alle öffentlichen Versammlungen beantragt werden mussten. In den darauffolgenden Monaten wurden die Distriktsvereine gegründet und deren Vorstände gewählt. Die ersten provisorischen Distriktsleitungen waren oft nicht gewählt, sondern lediglich von ehemaligen führenden SPD-Mitgliedern eingesetzt worden, um schnell mit der Aufbauarbeit beginnen zu können. Weiterhin sprachen wichtige SPD-Funktionäre über Ziele und Aufgaben der Partei auf gut besuchten Versammlungen. Nach zwölf Jahren der Unterdrückung war nun die freie Meinungsäußerung wieder möglich. Verbotene Musikstücke und Lieder konnten wieder aufgeführt und gesungen werden, was oft „zu Freudentränen der Anwesenden“ führte. Sehr bald hatte die SPD in Ostwestfalen-Lippe die Mitgliederzahlen von 1932 überschritten. Anfang 1948 gab es bereits 6.806 Mitglieder in Bielefeld. Seit dem 3. April 1946 verfügte die SPD mit der „Freien Presse“ über eine eigene Zeitung in Bielefeld.
Die Konstituierung der Parteien Ende 1945 und Anfang 1946 führte zu ersten parteipolitischen Aussagen. Die SPD verfügte zu diesem Zeitpunkt noch nicht über ein in sich geschlossenes Programm. Entsprechende Aussagen über Ziele und Aufgaben der Partei stammten entweder aus Reden von führenden SPD-Funktionären auf Parteiversammlungen oder später aus Veröffentlichungen in der „Freien Presse“ und der „Sozialistischen Wunschfrau“. Die SPD forderte den Aufbau der Demokratie und des Sozialismus. Diese Forderungen leiteten sich aus den geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ab. Das kapitalistische System und mächtige Großkonzerne hatten den Krieg begünstigt und durch ihre Unterstützung Hitler an die Macht geholfen. Der Aufbau des Sozialismus war nach Meinung der SPD notwendig, um weitere Kriege zu verhindern.
Konkrete Forderungen zum Aufbau des Sozialismus wurden bezüglich der Wirtschaft gestellt. Doch gab es innerhalb der SPD unterschiedliche Meinungen über die nötigen Veränderungen. Einige Genossen forderten die Einführung der Planwirtschaft, während andere nur Schlüsselindustrien und den Bergbau sozialisieren wollten. Mit der Sozialisierung wollte man die Kontrolle über wichtige Industriezweige gewinnen und so mögliche weitere Kriege verhindert. Bei der Landwirtschaft plante man eine Aufteilung der großen Güter in kleinere. Auf dieser Art und Weise sollte die Ernährung der Bevölkerung gewährleistet werden. Zusätzlich sollte eine neue Lebensgrundlage für die vielen Flüchtlinge aus dem Osten, die ein kleines Landstück erhalten sollten, geschaffen werden. Emil Groß kritisierte zum Beispiel, dass der Großgrundbesitzer Windel fast die gesamte Senne besaß. Er forderte die Aufteilung dieses Besitzes.
Weiterhin trat die SPD für Völkerversöhnung und weltweiten Frieden ein. Sie wandte sich gegen den Militarismus und forderte die Entnazifizierung. Ehemalige NSDAP-Mitglieder sollten aus ihren Stellungen in den Verwaltungen und anderen wichtigen Institutionen entfernt und durch unbelastete Personen ersetzt werden. Es wurde außerdem infrage gestellt, ob die ehemaligen NSDAP-Mitglieder das aktive und passive Wahlrecht erhalten sollten. Die Sozialdemokraten planten, diese zu Bürgern zweiter Klasse zu machen, weil sie eine antidemokratische Einstellung gezeigt hatten. Sie sollten erst wieder rehabilitiert werden, wenn sie eine demokratische Einstellung vorweisen konnten.
Die Anzahl von erfahrenen Mitgliedern, die bereits vor 1933 die Parteiarbeit geleistet hatten, war stark dezimiert. Die älteren Genossen leisteten am Anfang fast die gesamte Aufbauarbeit, weil sie die Weimarer Republik und damit eine Form der Demokratie kennengelernt hatten und kaum jüngere Leute in der Partei waren. Die Jugend musste aktiviert werden, um Kräfte für die Erledigung der immer mehr anwachsenden Parteiarbeit zu finden. „Die Begeisterung der Jugend, die Erfahrung der Älteren und die Weisheit der Ältesten“ solle vereint werden. Die Jugendlichen sollten darum aktiv an dem parteipolitischen Leben teilnehmen, um später einmal die Arbeit der Männer der ersten Stunde fortzuführen.
Neben der jungen Generation bemühte sich die SPD verstärkt um die Frauen, die den Hauptteil der Wahlberechtigten stellten, weil sehr viele Männer im Krieg gefallen oder noch in Gefangenschaft waren. Wenn die SPD in Zukunft eine Regierung stellen wolle, müsse sie sich um die weibliche Unterstützung bemühen. Die sozialdemokratische Führung sah darum eine wichtige Aufgabe darin, die Frauen in Politik zu schulen. Aufgrund dieser Erwägungen wurden von der SPD Frauenabende durchgeführt, auf denen führende Sozialdemokraten Referate zu aktuellen Tagesfragen, aber auch zu spezifischen Frauenproblemen hielten. Es wurde dabei betont, dass sich die Frauen die Gleichberechtigung verdient hätten, weil sie es gewesen wären, die im Krieg die Kinder ohne Mann großgezogen hätten.
Bildquellen:
Carl Severing, Stadtarchiv Bielefeld
Carl Schreck, Stadtarchiv Bielefeld
Zerstörte Altstadt, Stadtarchiv Bielefeld
Zerstörungen an der Breiten Strasse, Stadtarchiv Bielefeld
SPD Wahlplakat, Stadtarchiv Bielefeld
Wählen gehen Plakat, Stadtarchiv Bielefeld
Hinnendahl und Generotzky, Sammlung Joachim Wibbing
Kopfzeile Sozialistische Rundschau, Sammlung Joachim Wibbing
Wahlspruch Sozialistische Rundschau, Sammlung Joachim Wibbing