Haushaltsrede von Riza Öztürk

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, lieben Kolleginnen und Kollegen,

in meiner Haushaltsrede vor 3 Jahren durfte ich davon berichten bzw. mich freuen, endlich aus dem Haushaltssicherungskonzept (HSK) raus zu sein und siehe da es sind zwischenzeitlich Dinge passiert, die man nie erwartet hätte - eine weltweite Pandemie, ein Krieg in Europa und damit verbunden eine große Energiekrise und einer Inflation mit der niemand rechnen konnte.

Alle diese Entwicklungen haben den Kommunen die Arbeit beim Thema Haushalt nicht leichter gemacht und die Steine vom nunmehr hier im Rat sehr bekannten Herrn Sisyphos, noch schwerer und kantiger werden lassen.

Wir kennen die Hilfen von Bund und Land, wie zum Beispiel die verschiedenen Hilfsschirme, aber gerade das Instrument der Isolierung hat die Kommunen in die Lage versetzt, noch bewegungsfähig bzw. handlungsfähig zu bleiben.

Allen hier im Rat ist klar, dass dieses Instrument der Isolierung natürlich kein direktes liquides Geld ist, sondern Schulden, die aufgeschrieben und später abbezahlt werden sollen.  Uns ist auch klar, dass dies eine Bürde für die kommenden Generationen ist, aber - Folgendes ist auch Fakt und eine Sichtweise, die ich bei dem Thema auch wichtig finde und die Isolierungen in einem anderen Licht zeigen.

Denn drehen wir es mal um, wenn wir jetzt nicht handlungsfähig wären, dann könnte wir nicht in die Infrastruktur und soziale Maßnahmen investieren. Heißt, in dieser schweren Zeit würden wir die Menschen mit Ihren Problemen ganz alleine lassen. Gerade mit Investitionen in soziale Projekte, in Bildung und in Gesundheit wird ein Gegenpol geschaffen, um die Bevölkerung abzuholen, sie soweit es geht zu betreuen, ihnen Mut zu machen, ihnen Zuversicht zu geben und praktisch in allen Lebenslagen zur Seite zu stehen. Ich komme später noch mal auf die konkreten Maßnahmen zurück.

Also mein Statement ist, wenn wir jetzt nicht in die aktuelle Generation, in die Kinder und jungen Menschen investieren, sie auf der Strecke lassen, was passiert dann mit dieser Generation, die dann natürlich auf das Leben der nächsten Generation einen Einfluss hat?

Also am Ende ist die Isolierung zumindest ein erster Lösungsansatz. Natürlich wäre eine andere viel nachhaltigere Hilfe für die Kommune ein besseres Instrument, das ist mir klar und wir sollten über verschiedene Kanäle wie Rat, Städtetag usw. über die Lage der Kommunen immer wieder insistieren, doch nehmen wir sie als Chance jetzt und direkt für etwas GUTES zu nutzen.

Aber nochmal liebe Kolleginnen und Kollegen ein dedizierter Blick auf den Haushalt und was dies nun nach den „Hilfsmaßnahmen“ für unsere Stadt bedeutet.

Eines ist klar, und der Kämmerer hat es auf den Punkt gebracht, die Arbeit am Haushalt ist ein auf und ab und mal ist man mit dem Stein näher am Tal, mal näher an der Bergspitze. Fakt ist, dass für 2023 kein HSK in Sicht ist, auch wenn ein Fehlbetrag von rund 37,4 Mio. Euro droht, wobei wir im Haushaltsentwurf von ca. 94,1 Mio. Euro ausgegangen sind. Hier helfen neben den beschriebenen Isolierungen gute Steuerschätzungen und auch bessere Schlüsselzuweisungen.

Aber zudem zahlt sich hier ebenso die gute Strategie aus, die Überschüsse aus den guten Jahren diszipliniert in die Ausgleichsrücklage zu legen. Zuletzt mit dem Jahresüberschuss für 2022 von ungefähr 40 Mio. Euro sind wir bei nunmehr 376,6 Mio. Euro. Das hilft uns nach heutigen Überlegungen bis 2029 nicht die allgemeine Rücklage anzutasten und den HSK nicht sofort vor der Tür zu haben.

Übrigens sei jetzt schon hier einmal erwähnt: Bielefeld gehört eher zu den Städten, die durch die gute Vorarbeit, zumindest ein wenig besser vorbereitet ist als viele andere Kommunen, die es viel härter trifft.

Dennoch will ich eine Sache hier an dieser Stelle definitiv unterstreichen: Die Koalition hat gleich schon mit dem ersten Eckpunktepapier der Legislatur immer wieder den Blick auf den Haushalt geworfen und hat klar signalisiert, dass hier ein besonderes Augenmerk gesetzt wurde. Denn wir wollen auf keinen Fall zurück in diese HSK-Zeit und wissen aus der Historie um diese harte Zeit.

Es ist also ein Balanceakt zwischen - die Infrastruktur nicht kaputtzusparen bzw. wichtige Daseinsvorsorge (gerade in dieser Zeit) aufrechtzuerhalten, aber ebenso zu schauen, was finanziell geht und was nicht geht. Auch hier haben wir priorisiert und gescannt. Wir nehmen die Warnungen des Kämmerers sehr ernst und versuchen im Zusammenspiel dafür zu sorgen, die Stadt für jetzt und für die Zukunft vorzubereiten.

Dennoch war klar, nach der Durststrecke im HSK mussten wir in die Stadt und in die Menschen investieren. Ich erinnere hier nochmal an das große Investitionspaket, welches wir zusammen im Rat geschnürt haben, der ca. 900 Millionen Euro bis 2030 in 109 Projekten vorsieht.

Die Kunst ist es doch, verschiedene Tonarten auf der Klaviatur des Haushaltskonzertes zu spielen und gepaart mit der Haushaltsdisziplin immer so zu fahren, das am Ende Disziplin und Investitionen in einer guten Melodie sich ergänzen.

Was heißt das konkret? Ich will die wie oben schon angedeuteten Maßnahmen und Aktivitäten und die Wirkung auf die Menschen und die Stadt beziehen:

1. Bereich Soziales

  • Eine besondere Rolle spielen hier Leistungs– und Finanzierungsvereinbarungen (die sog. LuFs), mit den Trägern, die über die vielen Jahre Hand in Hand mit der Stadt u.a. für den sozialen Frieden sorgen. Sie sind im Bereich der Quartiersarbeit, bei Themen der Jugendarbeit und Sozialarbeit, aber auch Gesundheit und Pflege und vieles mehr da und sorgt dafür, dass gerade die, die am wenigsten haben und die es am meisten benötigen sich nicht abgehängt fühlen. Und nochmal: Gerade in diesen Zeiten! So haben wir für 2023 mit ca. 3,35 Mio. Euro nochmal nachgelegt und additiv auch einen Notfallfonds für die Energiekostensteigerung für die Jahre 2023-2025 mit insgesamt 1,22 Mio. Euro in den Haushalt eingestellt.

  • Ein spezielles signifikantes Beispiel ist die Unterstützung der Stadtteilmütter im Ostmannsturmviertel, in Ummeln, in Sieker in Brackwede, damit unverzichtbarer Versorgungsbestandteil der zielgruppenspezifischen Beratungs-, Betreuungs- und Integrationsarbeit.

  • Oder auch das Thema Streetworker mit sozialraumorientierter Arbeit, oder die Themen Patientenberatung und Gesundheitsförderung,

  • Die Unterstützung des Mädchenhaus, Ausbau der spezialisierten Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

  • Dedizierte Beratung bei Insolvenz und Schuldnerberatung (Energie, Preisanstiege allgemein).

  • Unterstützung von Bürger- und Jugendzentren, und vieles mehr die hier echt eigentlich Wert wären erwähnt zu werden.

2. Bereich Bildung/Kultur/Sport

  • Gerade für Schulen, die Digitalstrategie wird auf dem Weg gebracht, es sollen sukzessive 64 Millionen Euro investiert werden

  • Den anvisierten Bauprojekten wie zum Beispiel der Neubau der Martin-Niemöller-Gesamtschule (MNG), oder ein neuer Bildungscampus sind initiiert, ebenso kleinere Projekte wie YouSchool, in dem mal unterschwellig mobile Bildung in einem ganz anderen Format vermittelt werden soll

  • Die Sanierung der Kunsthalle, Mehrstellen für die zukünftige bessere personelle Ausstattung der Kunsthalle, Projekte in der Kultur auch im Rahmen der LUFs,

  • Die Weiterführung der Sportentwicklungsplanung

  • Unterstützung von Vereinen und Aktivitäten auch von vereinsungebunden Projekten.

Wir sagen - meine Damen und Herren - Bildung, Teilhabe und Daseinsvorsorge ist für alle da, zu jeder Zeit und in jeder Lebenslage, egal, welcher struktureller Hintergrund da ist.

Klar ist, eine Stadt muss auch Antworten in der Krisenzeit über die immer andauernden Themen wie Umwelt/Verkehr oder anderen öffentlichen Themen finden. Ebenso hier einige Essentials:

  • So haben wir uns weiter Gedanken gemacht wie wir die regenerativen Energien auf kommunaler Ebene fördern.

  • Die Baumschutzsatzung in die Wege geleitet um den Schutz von Bäumen für ein besseres Klima zu erhöhen.

  • Das Dezernat Umwelt, Klima und Verkehr wird gestärkt, um den immer komplexer werdenden Herausforderungen zu begegnen.

  • Den Nahverkehrsplan weiter auszufüllen.

  • Die VAMOS-Finanzierung für die Stärkung des ÖPNV ist gesichert

  • Erweiterung bzw. Budgetanpassung wegen aktueller Entwicklungen wie Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, Energieengpässen und geänderter internationaler Bedrohungsanlagen im Zivil- und Katastrophenschutz.

  • Die fortwährende Weiterentwicklung der städtischen Feuerwehr, sowohl mit Infrastruktur oder Personal (65 Stellen).

Sie sehen, die Stadt - die übrigens eine wachsende Stadt mit neuen Herausforderungen ist, wird - gerade in turbulenten Zeiten wie jetzt - ebenso eine Führung brauchen, die immer sozial ausgewogen handeln muss. Dabei aber auch den Mut für Innovation und neuer Wege gehen muss – auch wenn einige zuerst nur aus Symbolpolitik bzw. Befindlichkeit sich dagegen sträuben. Eine Stadt wie Bielefeld hat gute Chancen hier immer wieder sich den Herausforderungen zu stellen. Sie hat eine starke Wirtschaft, die man weiterhin signifikant unterstützen muss, eine tolle Hochschullandschaft, die man fördern muss, ein gutes soziales Miteinander mit engagierten Trägern und natürlich auch Menschen die in vielen Krisen gezeigt haben, dass man, wenn es darauf ankommt, Haltung zeigt.

Daher ist es wichtig, und das gehört auch zur Wahrheit, dass man die Kommunen nicht allen lassen darf: Ohne die Solidarität des Landes und Bundes wird es nicht gehen. Nicht für Bielefeld und auch für fast alle anderen Städte in Deutschland nicht.

Denn nochmal: Geht es den Kommunen schlecht, geht es dem Land und dem Bund schlecht, da das Groh der Investitionen über die Kommunen kommt und natürlich eine Strahlwirkung auf ganz Deutschland hat.

Für uns bleibt aber die alltägliche Arbeit, die Arbeit von Sisyphos den Stein immer wieder, wenn er droht ins Tal zu rollen, vehement zurückzustoßen. Und dies NIMMER Müde werdend, denn die Alternative wäre nicht mal einen Stein zu haben, den man rollen kann.

Ich gehe noch einen Schritt weiter und würde Albert Camus´ radikale Neuinterpretation der Sisyphusqualen in seinem Essay 1942 hier eher sehen. Er hat eine andere Sichtweise auf den Mythos etabliert. Denn wenn man sich überlegt warum man diese Sisyphusarbeit macht, nämlich damit eine Stadt immer handlungsfähig und kreativ bleibt, dann bekommt es eine positive Deutung. Herr Camus´ letzten beiden Sätze dieses Essays sind berühmt geworden: „Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“

In diesem Sinne gilt daher mein Dank an die Verwaltung, insbesondere Herrn Kaschel als führenden Dezernenten in diesem Sachverhalt und unseren Oberbürgermeister, der guten Zusammenarbeit in der Koalition, und natürlich dem Rat der diese Entscheidungen auf dem Weg gebracht hat.

Herzlichen Dank!